Ein Spiegel eines dynamischen Menschen und Forschers

Hahnemanns Organon der Heilkunst gilt bis heute – völlig berechtigt – als das grundlegende Werk der Homöopathie. Diejenigen, die die Synopse seiner 6 Organon-Ausgaben näher betrachten, können die wissenschaftliche, wie auch die persönlich-spirituelle Entwicklung Samuel Hahnemanns deutlich daraus ablesen. 

Die Herausgabe der Organon Synopse

Die Organon Synopse ist als Dissertationen der Herren Bernhard Luft und Matthias  Wischner erstellt und 2001 im Haug Verlag erschienen. Dies hat mich damals sehr begeistert, da wir im CKH schon 1996 begonnen hatten, die einzelnen Organon-Ausgaben zu analysieren und  die Paragraphen jeweils zuzuordnen. Dieses Vorhaben erwies sich als unendlich mühsam und war neben der täglichen Praxis nicht zu schaffen. Ein solches Werk als Arbeitsgrundlage zu haben, war erstrebenswert. Den beiden obig genannten Herren sei hiermit Dank und Anerkennung ausgesprochen. In der – seit 2001 – existierenden Zusammenstellung ist viel über die Entwicklung Hahnemann’s und damit über die Homöopathie ablesbar.

Ein Ausschnitt aus einer Besprechung des Organos von Samuel Hahnemann während eines Live-Seminars mit Antonie Peppler:

Leben und Entwicklung Samuel Hahnemanns

Hahnemann erwies sich als eine Persönlichkeit, die sich erlaubte sich weiter zu entwickeln und dies auch kund zu tun. Leider nicht in aller Konsequenz, aber viele seiner Entwicklungsschritte und neuen Erkenntnisse sind offenkundig. Bekanntermaßen schrieb er sein Werk in Paragraphen, quasi als „Gesetzestext“. In seiner Lebensgeschichte ist abzulesen, dass er ein äußerst aufrichtiger, aber auch streitbarer Mensch war. Er machte sein Medizinstudium nicht nur aus Passion, sondern auch in der Hoffnung für seine erste große Liebe standesgemäß zu werden, um sie heiraten zu können. Diese hatte aber nicht auf ihn warten können, heiratete anderweitig und starb dann recht früh an einer Lungentuberkulose. Hahnemann heiratete dann -vielleicht aus praktischen Gründen- seine erste Frau Henriette, die Tochter des Apothekers, bei dem er tätig war und schon sehr früh seinen Ideen im forschenden Sinne nachgehen konnte. Von seiner pharmazeutischen Tätigkeit war er begeistert gefangen, während er von seiner ärztlichen Tätigkeit, so wie er sie gelernt hatte, direkt angewidert war. In allen sechs Ausgaben des Organon beschimpft er seine ärztlichen Kollegen und machte sich damit sicher keine Freunde. Er selbst war so konsequent, dass er es ablehnte, seiner Studien entsprechenden, ärztlichen Tätigkeit nachzugehen. So verdiente er sein Geld mit Übersetzungen meist medizinischer Texte, denn er war sprachlich sehr begabt. Seine Konsequenz trug Früchte, denn durch die Übersetzung eines Werkes des schottischen Arztes Dr. Cullen über die Chinarinde, welches Hahnemann experimentell an sich selbst nachvollzog, erschloss er sich die Idee der Homöopathie.

Aber es stand „allein gegen den Rest der Welt“, da er sich nicht den ärztlichen Kollegen anschloss, sondern sie sogar beschimpfte und verurteilte. Sein Organon beginnt – ein wenig ironisch – in dieser Weise:

§ 1 Des Arztes höchster und einziger Beruf ist, kranke Menschen gesund zu machen, was man Heilen nennt 1).

1) Nicht aber (womit so viele Ärzte bisher Kräfte und Zeit ruhmsüchtig ver­schwendeten) das Zusammenspinnen leerer Einfälle und Hypothesen über das innere Wesen des Lebensvorgangs und der Krankheitsentstehungen im unsicht­baren Innern zu sogenannten Systemen, oder die unzähligen Erklärungsversuche über die Erscheinungen in Krankheiten und die, ihnen stets verborgen gebliebene, nächste Ursache derselben u.s.w. in unverständliche Worte und einen Schwulst abstrakter Redensarten gehüllt, welche gelehrt klingen sollen, um den Unwissen­den in Erstaunen zu setzen, während die kranke Welt vergebens nach Hülfe seufzte. Solcher gelehrter Schwärmereien (man nennt es theoretische Arznei­kunst und hat sogar eigne Professuren dazu) haben wir nun gerade genug, und es wird hohe Zeit, daß, was sich Arzt nennt, endlich einmal aufhöre, die armen Menschen mit Geschwätze zu täuschen, und dagegen nun anfange, zu handeln, das ist, wirklich zu helfen und zu heilen.

Hahnemann’s „Patienteninformation“ – Das Organon

Unter der Perspektive des Einzelkämpfers ist es nachvollziehbar, dass Hahnemann sein grundlegendes Werk in Paragraphen schrieb, denn es war sein Gesetz, an das er sich selbst weitgehend hielt und das er auch ständig weiterentwickelte.

Sein Paragraphenwerk lässt sich dahingehend deuten, dass Hahnemann damit als Einzelkämpfer einerseits seine Überzeugung verteidigt, andererseits „intelligente“ Mitstreiter suchte, die seine Sache nachvollziehen und begreifen konnten.

Das Organon war nicht als Lehrbuch geschrieben, sondern es war dem Grunde nach eine „Patienteninformation“. Jeder Patient, dem es intellektuell zumutbar war, musste das Organon gelesen haben, bevor er behandelt wurde. So war es gewünscht.

Hahnemann wollte unbedingt in seiner Handlungsweise und ärztlichen Tätigkeit nachvollzogen und verstanden werden. Denn er lebte in einer Zeit, in der Medizintheorien zur Modeerscheinung und in verschiedenster Art verfasst wurden. Das, was er anprangerte war, dass diese Theorien seiner Kollegen ohne Hand und Fuß, bzw. nur theoretischer und oder phantasiebegabter Natur waren. Er selbst legte unendlichen Wert darauf, seine Homöopathie als eine auf Beobachtungen und Erfahrungen basierende Heilkunst verstanden zu wissen. Deshalb wollte er zunächst in jedem seiner Entwicklungsschritte verstanden werden. Für einen so genialen, einfallsreichen und dynamischen Menschen war dies ein schwieriges Unterfangen. Denn viele seiner Zeitgenossen waren damit hoffnungslos überfordert und hatten sicher auch nicht das Interesse und die Akribie Hahnemanns.

Die zeitliche Entwicklung des Organons – und Hahnemann selbst

Um so gut wie möglich auch in der Entwicklung seiner neueren Erkenntnisse, verstanden zu werden, veränderte er seine „Patienteninformation“ das Organon sechs Mal. Im Laufe der Jahre hatte er mehr und mehr Schüler und Sympathisanten, die an seiner Entwicklung teilhaben sollten. Leider gelang Hahnemann nicht immer sich zu vermitteln, besonders, als er sich aus seiner zunächst materiellen Denkweise des Apothekers hin zur spirituellen Sichtweise eines Heilers ab dem Organon 5 und 6 entwickelt. Als Beispiele:

§ 10 Der materielle Organism, ohne Lebenskraft gedacht, ist keiner Empfindung, keiner Tätigkeit, keiner Selbsterhaltung fähig 2);

nur das immaterielle, den materiellen Organism im gesunden und kranken Zustande belebende Wesen (das Lebensprincip, die Lebenskraft) verleiht ihm alle Empfindung und bewirkt seine Lebens­verrichtungen.

2) Er ist todt und, nun bloß der Macht der physischen Außenwelt unterworfen, fault er und wird wieder in seine chemischen Bestandtheile aufgelöst.

§ 12 Einzig die krankhaft gestimmte Lebenskraft bringt die Krankheiten hervor 1),

so daß die, unsern Sinnen wahrnehmbare Krankheits-Aeußerung zugleich alle innere Veränderung, das ist, die ganze krankhafte Ver­stimmung der inneren Dynamis ausdrückt und die ganze Krankheit zu Tage legt. Hinwiederum bedingt aber auch das Verschwinden aller Krankheits-Aeußerungen, das ist, aller vom gesunden Lebens-Vor­gange abweichenden, merkbaren Veränderungen mittels Heilung, eben so gewiß die Wiederherstellung der Integrität des Lebens-Princips und setzt folglich die Wiederkehr der Gesundheit des ganzen Organism nothwendig voraus.

1) Wie die Lebenskraft den Organism zu den krankhaften Aeußerungen bringt, d.i. wie sie Krankheit schafft; von diesem Wie und Warum kann der Heilkünstler keinen Nutzen ziehen und sie wird ihm ewig verborgen bleiben; nur was ihm von der Krankheit zu wissen nöthig und völlig hinreichend zum Heilbehufe war, legte der Herr des Lebens vor seine Sinne.

In diesen Paragraphen beschreibt Hahnemann die geistartige Lebenskraft, die der Initiator von Krankheit wie von Gesundheit ist.

Heute können wir im Sinne der Symptomsprache ausdrücken: Krankheit und Gesundheit sind von der Lebensmotivation eines Menschen abhängig. Krankheit und Symptome entstehen immer aus den inneren Überzeugungen und der Denkweise eines Menschen.

Als Zeichen dafür, dass Hahnemann sich oft unverstanden gefühlt haben muss, lässt sich sein oft zitierter Spruch interpretieren.

„Macht’s nach, aber macht’s genau nach.“

Anders ausgedrückt können wir Hahnemann in den Mund legen:

Wenn ihr mich schon nicht versteht, dann macht wenigstens meine recht nüchtern beschriebene Arbeitsweise nach !!!

Letztlich ist obiges Gebot in Hahnemann’s unklarer Ausdrucksweise fast tragisch und verwirrend. Denn derjenige der Hahnemann’s generelle Denkweise nicht begreift, steht vor dem Problem, welchen Entwicklungsstand Hahnemann’s soll er denn nach- machen ???  Mit 50 Jahren hat er anders therapiert als mit 85 Jahren. Aber alles ist irgendwie richtig, vieles baut aufeinander auf. Diejenigen, die bis in die heutige Zeit eine klare Anweisung und Richtschnur brauchen, um sich in ihrer homöopathischen Arbeit sicher zu fühlen, werden an Hahnemann’s Ausspruch verzweifeln. Aber derjenige, der den roten Faden in seiner Entwicklungsdynamik erkennt, wird die Homöopathie begreifen und sie im Sinne Hahnemanns weiter entwickeln können.

Vermutlich wünschte sich Hahnemann, dass seine Entwicklungsdynamik verstanden und nachgemacht werden sollte, ohne zu bedenken, dass sich nicht auf jedem Hals  ein genialer Kopf befindet.

Hahnemann’s „Afterhomöopathen“

Immer wieder spalteten sich Schüler von Hahnemann’s Lehrmeinung ab. Diese ehemaligen Schüler, die ihn offensichtlich nicht mehr verstanden oder seine Meinung nicht mehr teilten, betitelte er -vermutlich enttäuscht- als „Afterhomöopathen“.

Hahnemann selbst, blieb sich in seiner Lehre treu. Der Aufbau seines Organon hatte immer zunächst den theoretischen Teil, der sich allerdings inhaltlich deutlich veränderte. Diese Veränderung war vor allen Dingen in dem tieferen Verständnis der chronischen Erkrankungen begründet. Seine fast naive Vorstellung: der Mensch ist grundsätzlich gesund, seine zufällig entstandenen Symptome werden durch homöopathische Arzneien ausgeglichen und damit ist die Gesundheit zurückgekehrt, wandelten sich fast in das Gegenteil:

Jeder Mensch ist miasmatisch (konstitutionell, belastetes Terrain) erkrankt, unabhängig davon, ob das Miasma schon ausgelöst wurde, also als Erkrankung sichtbar ist, oder nicht.

Damit ist jede akute Erkrankung die sichtbare Spitze chronischer Themen, welche primär zu behandeln sind.

Mit dieser Erkenntnis verliert die akute Erkrankung an Wichtigkeit.

Wird das chronische, miasmatische Thema gelöst, ist die akute Erkrankung ebenfalls geheilt.

Einen völlig gesunden Menschen gibt es nicht. Es sei denn, alle Miasmen wären geheilt.

„Ähnliche“ und „unähnliche“ Erkrankungen

Eine weitere interessante und der Wirklichkeit entsprechende Erfahrung wird   Hahnemann im Laufe der Zeit immer deutlicher. Er beschreibt dies in § 42 Organon 5 und 6 (§ 37 Organon 2,3,4):

§ 42 Die Natur selbst erlaubt, wie gesagt, in einigen Fällen den Zusammentritt zweier (ja dreier) natürlichen Krankheiten in einem und demselben Körper. Diese Complicirung ereignet sich aber, wie man wohl zu bemerken hat, nur bei einander unähnIichen Krankheiten, die nach ewigen Naturgesetzen einander nicht aufheben, nicht ver­nichten und nicht heilen können, und zwar wie es scheint, so, daß sich beide, (oder die drei), gleichsam in den Organism theilen und jede die, für sie eigenthümlich gehörigen Theile und Systeme ein­nimmt, was, wegen Unähnlichkeit dieser Uebel untereinander, der Einheit des Lebens unbeschadet, geschehen kann.

Hahnemann unterscheidet zwischen ähnlichen und unähnlichen Erkrankungen. Er erklärte, dass ähnliche Erkrankungen sich gegenseitig ausgleichen, während unähnliche Erkrankungen gleichzeitig nebeneinander in einem Körper existieren können.

Ähnliche Erkrankungen

Um die Differenzierung zwischen diesen beiden Krankheitsformen deutlicher zu machen, bediene ich mich der Krankheitsdeutung, die zuerst von Rüdiger Dahlke und Louise Hay veröffentlicht wurden. Die Erkrankungen Grippe und Rheuma sind sich grundsätzlich ähnlich. Beide Erkrankungen haben meist u. a. ein Zer- oder Geschlagenheitsgefühl. Während dieses Gefühl bei der „akuten“ Grippe vorübergehender Natur ist und in Verbindung mit verschnupft sein, Nase voll haben steht, ist der Rheumatiker meist chronisch „geschlagen“. Die Schmerzen „wie geschlagen“ sind dauerhaft. Beide Erkrankungen fallen im beschriebenen Sinne unter das Thema „gefoltert“ sein. Es ist auch in der klassischen Medizin nichts Ungewöhnliches, dass sich der rheumatische Schmerz reduziert, wenn eine akute Grippe ausbricht. Es gibt durchaus Fälle, dass nach einer schweren Grippe das Rheuma nicht mehr auftritt, also geheilt ist. Ein vielleicht langjähriger Duldungs- und Leidensprozess wird durch die Grippe wieder akut und kann im Sinne einer inneren Reifung, durch den das Leid seine Relevanz verloren hat, geheilt werden. In dieser Weise lassen sich Hahnemann’s ähnliche Krankheiten deutlicher verstehen.

Unähnliche Erkrankungen

Die unähnlichen Erkrankungen sind leichter zu erklären. In diesem Falle stehen mehrere, nicht gelöste Konflikte einer Person nebeneinander. Hahnemann, der zu seinen Lebzeiten drei unterschiedliche Miasmen unterschied, benannte genau diese im § 42. Bedenken wir, dass gemäß moderner Gehirnforschung, all das, was wir je erlebt haben in uns gespeichert ist, werden nicht nur drei, sondern viel mehr ungelöste Konfliktthemen oder negativ bewertete Lebensthemen gleichzeitig nebeneinander in uns existieren. Gemäß Hahnemann bleiben alle diese Themen in unserem Unbewussten nebeneinander bestehen, bis sie geheilt werden. Dieses Faktum lässt durchaus den Schluss zu, dass mehrere Themen auch gleichzeitig durch individuelle Mehrmittelgaben geheilt werden können. Denn die Gehirnforschung bestätigt, dass die in uns gespeicherten Themen alle miteinander vernetzt sind.

Experimente, die vernetzte Konfliktthemen abdecken, wurden auch schon von Hahnemann und seinen Schülern erfolgreich durchgeführt. Dies wird u. A. in den kürzlich erschienenen Veröffentlichungen der Patientenfälle Hahnemann’s aus seiner Pariser Zeit deutlich.

Die letzten Veröffentlichungen Hahnemann’s

Im fünften Organon wollte Hahnemann seine Experimente mit Arthur Lutze und anderen bezüglich seiner Mehrmittelgaben veröffentlichen, ließ sich aber von ängstlichen Schülern davon abbringen, um nicht noch mehr Angriffsfläche für seine Gegner zu bieten.

Lutze, der darüber äußerst erbost war, brachte ein eigenes Organon mit diesen Informationen heraus. Per Gerichtsbeschluss wurde dieses dann wieder vom Markt genommen. Vermutlich wurde aus diesem Grund das sechste Organon erst nach dem Tode Melanies, Hahnemann’s zweiter Frau, veröffentlicht, denn der empfindsame Leser findet besonders in den Kommentaren zu den Paragraphen kürzere, klarere, fast weich anmutende Sätze, die in krassem Gegensatz zu der oft verworrenen Sprache Hahnemann’s stehen.

An diesen wenigen Beispielen lässt sich erahnen, welch vielseitige Themen, inhaltreiches medizinisches und philosophisches Wissen und auch Weisheit im Organon zu finden ist, die sich auch heute noch im Angesicht der modernen Medizin nicht verstecken muss. 

Dies fällt mir jeweils erneut auf, wenn sich wieder einmal eine neue Ausbildungsgruppe der „Kreativen Homöopathie“ durch das Organon kämpft.

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Quellen:
Organon der Heikunst, Samuel Hahnemann Ausgabe 1 – 6
Organon Synopse, Haug Verlag

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