Mehr als das „Finden des richtigen Mittels“
Die Homöopathie ist längst im 21. Jahrhundert angekommen und ihre Heilerfolge sind trotz wissenschaftlicher Unfassbarkeit anerkannt und dokumentiert. Dennoch haben sich in der Homöopathie diverse z. B. sprachliche „Absonderlichkeiten“ erhalten. Der wohl bekannteste und zugleich auch den meisten Laien unverständlichste Begriff ist der der „Repertorisation“. Häufig wird dieser Begriff in Patientenkreisen ausschließlich mit seinem immer noch in der Klassischen Homöopathie sehr verbreiteten Ziel, dem Finden des passenden (Einzel)-Mittels verbunden. Eine Sicht, die dem Wesen der Repertorisation jedoch nicht annähernd gerecht wird.
Die ganzheitliche Erfassung des Patienten
Natürlich wissen wir als Behandler, dass das Ergebnis der homöopathischen Erst-Anamnese weit davon entfernt ist, sich mit der Diagnose im schulmedizinischen Sinne vergleichen zu lassen. Wir wissen, wie im Verlauf der Anamnese Symptome systematisiert und ihre Wertigkeiten erhalten werden, wir wissen, dass der Patient, im besten, „salutogenesischen“ Sinne mit seiner Persönlichkeit ganzheitlich erfasst wird und dass sowohl verbale als auch nonverbale Aussagen des Patienten besondere Berücksichtigung finden. Unstrittig liegt dabei die besondere Kunst des erfahrenen Homöopathen darin, den aufgenommenen Symptomen, die für den Fall richtige hierarchische Wertigkeit zu geben, dabei die wesentlichsten Symptome als solche zu erfassen und ja, manchmal auch zu „erspüren“ … In diesem komplexen Erkenntnisprozess gibt es ganz zweifellos zwei „anzuerkennende“ Fehlerquellen: den Patienten und den Homöopathen.
Das Spiegelprinzip
Die häufigste Fehlbarkeit des Therapeuten in der homöopathischen Anamnese liegt in einem zugleich wesentlichen Prinzip der Homöopathie begründet: dem Spiegelprinzip. So bilden sich Therapeut und Patient in gewissem Sinne gegenseitig ab.
Kern dieses Abbildungsprozesses sind ähnliche Erfahrungen und/oder Denkstrukturen, die einerseits bei jedem der beiden anders bewertet sind und außerdem meist unbewusst bleiben.
Die hohe Kunst des Therapeuten besteht darin, „Neutralität“ zu wahren und die eigenen Interpretationen der verbalen wie auch der nonverbalen – also z.B. über die Symptomsprache oder über erkennbare Verhaltensmuster gemachten – Aussagen des Patienten ständig zu überprüfen. Ziel dieser „Qualitätskontrolle“ ist letztlich eine von eigenen Bewertungen weitestgehend befreite Analyse. Gerade darin aber liegt nicht nur die hohe Kunst sondern eben auch eine der großen Schwierigkeiten der homöopathischen Anamnese.
Die Güte des Homöopathen entspricht seiner eigenen „Wertfreiheit“, seiner Gesundheit.
Als sei das Erreichen dieser Unvoreingenommenheit nicht schon schwierig genug, ist es aber vor allem der Patient, der uns immer wieder auf das Neue „überrascht“.
Verschiedene Arten von Patienten
Der Voll-Diagnose-Patient
Er war schon bei „allen Ärzten“ und bei vielen naturheilkundlichen Kollegen. Seine Laborwerte und schulmedizinischen Diagnosen füllen Aktenordner und zeichnen sich durch viele unklare Symptome aus. Natürlich hat ihm „nie“ jemand helfen können und er ist inzwischen völlig davon überzeugt, diese oder jene spezielle Krankheit oder gar ein ganzes Potpourri davon zu haben. Auf dieses oder diese Leiden ist er vollständig fokussiert. Oft ist seine eigene Auffassung der Krankheitsursachen oberflächlich, vorzugsweise sind die Umstände oder die Umgebung „schuldig“. Stellen wir uns eine junge Frau mit einem Magengeschwür vor. Als Ursache lässt sich vielleicht sogar oberflächlich eine Mobbing-Situation identifizieren. Nun könnten wir das „Aurum-Programm“ einschalten und auf unser „geknicktes Lieblingsblümchen“, Pulsatilla pratensis, abheben um den Selbstwert zu stabilisieren und den Rücken zu stärken. Genau dann aber wären wir – möglicherweise – in eine Falle der Patientin hineingelaufen, von der diese noch nicht einmal selbst eine Ahnung hat: die Tatsache, dass die scheinbare Ursache nur die Oberfläche einer weitaus tiefer gehenden Thematik ist…
Der bewusste Patient
Dieser Patient hat sich selbst vollständig analysiert. Er ist naturheilkundlich gebildet und sich bewusst, dass seine Symptome der Spiegel seiner inneren Zustände, besser noch seiner inneren energetischen Ungleichgewichte sind. Ja, mehr noch, er hat diese und auch einige der tiefer gehenden Themen bereits für sich identifiziert und kann dem Behandler ein scheinbar genaues Bild seiner körperlichen und emotionalen Zustände samt Ursache und Wirkungen vermitteln. Er hört Vorträge und besucht Kurse, liest sich durch die gesamte ganzheitliche Literatur … und obwohl unser Patient doch schon so lange an sich arbeitet und stets bemüht ist, alles „richtig“ zu machen, hat sich nicht wirklich etwas „bewegt“.
Der unbewusste Lügner
Unser Patient ist gewissenhaft und beantwortet Fragen präzise? Er ist bemüht, ein genaues Bild seiner Symptome zu vermitteln und kann alle Vorfahren mit sämtlichen Krankheiten mühelos aufzählen? Psychologische Fragestellungen sind ihm geläufig und seine Antworten auf den ersten Blick schlüssig? Oft sind es genau diese Patienten, bei denen sich die größte Diskrepanz zwischen verbalen und nonverbalen Aussagen findet. Sehr häufig stellt sich in späteren Gesprächen heraus, dass dieser Patient wesentliche Aspekte oder sogar Symptome ausgeblendet – und deswegen einfach „weggelassen“ hat. Getreu dem Motto: „eine halbe Wahrheit ist eine ganze Lüge“, muss so nicht nur das berücksichtigt werden, was der Patient mitteilt, sondern eben auch das, was er scheinbar nicht aber unbewusst, z.B. über seine Körpersprache ausdrückt.
Die Lösung dieser alltäglichen „Patientensonderfälle“
Wie finden wir im selbstkonstruierten Gebäude des Patienten jene Hintergründe und oder Brüche, die aus den verbalen und nonverbalen Aussagen nicht abzulesen sind? Hier zeigt sich, dass eine homöopathische Repertorisation, vor allem dann, wenn sie mit professionellen Hilfsmitteln, zu denen heute ganz ohne Zweifel Computerprogramme gehören, durchgeführt wird, eine Vielzahl von Aussagen und Informationen bereithält, deren wir uns lediglich bedienen müssen (siehe auch unsere Software Homöolog). Das Ergebnis einer „sachlichen“ Repertorisation kann Ergebnisse bringen, die dem Behandler Ideen zu tieferer Anamnese oder zu einem völlig neuen Therapieansatz inspiriert.
Unterstützung durch Psychologie
In der Kreativen Homöopathie verwenden wir dazu das Modell der psychologischen Muster bzw. der psychologischen Botschaft. Aus dem Gesamtbild der psychologischen Bedeutungen der Symptome und der psychologischen Bedeutungen der homöopathischen Arzneien aus der Repertorisation, ergibt sich nun ein im besten Falle spiegelbildliches Abbild der inneren Situation des Patienten, nämlich seiner Verhaltensmuster und seiner existierenden, tief im Unbewussten liegenden Glaubenssätze.
Menschliche Verhaltensmuster basieren auf Glaubenssätzen, die einander zuordenbar sind.
Aber genau an dieser Stelle finden sich häufig Diskrepanzen, die sich häufig dann auflösen, wenn wir dem Patienten weitere Fragen stellen können. Dabei ist es gleichgültig, ob der Patient etwas wirklich „vergessen“, also verdrängt oder einfach nur bewusst als unwichtig befunden hat. Erst diese verdrängten, scheinbar unwichtigen Aspekte aber sind es, die den Fall plötzlich „rund“ und lösbar machen.
Auf diese Weise lassen sich Impfbelastungen oder die Ursachen von Allergien ebenso herausfiltern wie krankmachenden traditionelle, energetische oder familiäre Prägungen.
Beispiel eines „allergischen Asthmas“.
Ein sechsjähriger ADS – Junge litt seit ca. 3 Jahren unter allergischem Asthma. Die Besonderheit war, dass der Auslöser des Asthmas nicht auszuloten war. Sämtliche „Entgiftungen“, die bei den verschiedensten Therapeuten durchgeführt worden waren, führten dazu, dass das Asthma im Sinne seiner Auslösung immer undurchschaubarer wurde.
Gleichermaßen entwickelte er ein „Macho-Verhalten“ besonders seiner Mutter gegenüber. Bei jeder Gelegenheit griff er auf besitzergreifende Art an ihre Brust, dies auch in Gesellschaft. Gelegentlich versuchte er auch am Bein seiner Mutter zu masturbieren. Die Mutter wies ihn immer häufiger verärgert ab.
Gabe homöopathischer Mittel
Die Arznei der tiefen Ab- und Zurückweisung: Ampelopsis quinquefolia, brachte eine Besserung des akuten Asthmaanfalls. Andere homöopathische Arzneien folgten, bis Caladium seguinum mit der psychologischen Bedeutung: „Sich für Nichts verausgabt haben“
die Situation wendete. Der Junge hatte offensichtlich nicht nur kindliches Interesse an seiner Mutter und reagierte mit einem Asthmaanfall, wenn seine Mutter ihn als „Liebhaber“ zurückwies, mit ihm auf der Mutter-Kind-Ebene kommunizierte und ihn damit dominierte. Mit Caladium seguinum gab er offensichtlich den Wunsch nach einer Liebesbeziehung zu seiner Mutter auf und wandte sich anderen weiblichen Wesen zu. Neuerdings hat er eine 18jährige Freundin, die er liebevoll küsst. Der Grundlage des Asthmas, die tiefenpsychologisch bedeutet „von jemandem dominiert werden“, war nun aufgelöst. Sicherlich hatte der Junge seine Prägung bzgl. seiner jetzigen Mutter „mitgebracht“.
Fazit
Bei der Analyse solch komplexer Verhaltensmuster und ihrer Ursachen stellen sich dann auch häufig die, in unserem Sinne eigenverantwortlichen Fragen: Warum hält der „Patient an seinen Symptomen fest?“ Welchen scheinbaren „Nutzen“ hat er davon? Was will er damit erreichen?
Die Antwort dieser Fragen ist letztlich in den Glaubenssätzen eines Patienten zu finden. Und meist muss man ihn nicht einmal danach fragen… denn die Symptome sprechen ihre eigene Sprache.
So können wir die Lebenssituation des Patienten komplex erfassen und z.B. auch jene Belastungsthemen identifizieren, die der Patient uns nicht verbal mitgeteilt hat oder mitteilen kann, ignoriert oder verdrängt hat.
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Quellen:
Antonie Peppler „Die psychologische Bedeutung homöopathischer Arzneien“, Bd. I 1998 und Bd. II 2002, CKHÆ -Verlag Großheubach
Antonie Peppler „Bedeutung der Symptome und Krankheitsbilder zum besseren Verständnis der homöopathischen Anamnese“,2005, CKHÆ -Verlag Großheubach